Nochmal Nordost Yukon

Beim Versuch glasklares Wasser zu fotografieren sollte frau sich nicht zu weit aus dem Boot lehnen – und die Steine am Grund fokussieren, sonst fragt sich der spätere Betrachter: was wollte die Fotografin uns damit sagen. Völlig fasziniert versuche ich mich an Fotos, Videoclips – mehrfach und mit wachsender Begeisterung. Nur schön mit dem Schwerpunkt im Boot bleiben, sonst….

Es ist mal wieder ein „Ten years after“ Moment. 2013 waren wir zu sechst auf dem Snake im Peel River System und wollten auf jeden Fall hierher zurück. Mit dem Bericht zu dieser Tour schon angepriesenen Flußführer im Gepäck ging’s damals nach Hause, und wie immer kamen tausend Dinge dazwischen. 2023 hat’s dann endlich geklappt – zu viert von der Snake Crew, d.h. zwei Tandems, diesmal auf dem Wind River.

In diesem Sommer brennen Wälder und die Tundra. Wir beschließen, alles auf uns zukommen zu lassen und nach der Lage vor Ort zu entscheiden, ob und wie wir unsere geplante Tour durchführen können. Wir können, jedoch werden wir unterwegs immer wieder Zeugen der Brände, und unser Abflugort – Mayo – wird später auch vom Feuer bedroht.

Unser Buschpilot, der uns von Mayo zum Input bringt ist relaxt und bittet uns lediglich, keine Moskitos an den Fensterscheiben zu zerdrücken – diese könnten rausfallen und es wäre dann etwas frisch im Flieger. Willkommen im Land der tiefenentspannten Menschen.

Eine Gruppe high school kids vom Camp Wanapitei in Ontario steht an dem kleinen See, auf dem wir landen können – und erledigt die 300m Portage zu unserem Input in Windeseile für uns. Die Enkelin des Campgründers ist die Chefin und sorgt dafür, dass unser Quartett mit deutlich höherem Durchschnittsalter gleich gut versorgt wird. Unerwarteter Service, bald stehen die Zelte und wir verbringen die erste Nacht am – nein, noch nicht am Wind: an einem kleinen, kurzen Zubringerbächlein. Das uns am nächsten Tag eine wahre Wasserwanderstrecke beschert: paddeln, aufsitzen, aussteigen, treideln, reinspringen – repeat. Zeitraffervideos machen wahre Clowns aus uns. Naja, der Wind River kommt schneller als erwartet, aber eng und insbesondere flach bleibt‘s noch eine Weile.

Was für eine Landschaft – offener als der Snake, aber immer wieder Kiesschwellen /-chen, kleinere Engstellen, der Wasserstand ist recht niedrig, bunte Steine – und eine Wasserqualität: ich bin beim Schreiben immer noch begeistert. Es ist wieder ein Geschenk in solchen Landschaften und auf deren Flüssen unterwegs sein zu können, und die Schönheit von alledem ist der blanke Wahnsinn.

Aber die Unschuld früherer Jahre ist weg; wir haben das Privileg hier zu sein, jedoch die Waldbrände sind auch mit unsere Schuld, und erinnern an das Widersprüchliche, was unser aller Leben durchzieht. Gelegentlich sehen wir Matschabbrüche – der Permafrost gibt nach (hatten wir schon am Snake), und hält an manchen Stellen das Ufer nicht mehr zusammen. Was tun? Jammern? Wegbleiben? Ignorieren? Den Weg des vorsichtigeren Umgangs mit der Natur und uns selbst muss jede/r für sich selbst finden.

Valerie und Geoff waren schon mal hier, und haben von den Bergen wenig gesehen: zwei Wochen Regen. Diesmal ist es nicht der Regen – an einigen Tagen verdeckt der Rauch die Sicht, z.T. haben wir Sonne mit leichtem Dunst. An einem Morgen produzieren Rauch und normaler Morgennebel eine Suppe, die uns ca. 2 Stunden warten lässt, bis die Sicht zum sicheren Navigieren reicht. In der Nacht davor meinen wir hinter dem letzten Bergrücken vom Feuer explodierende Bäume zu hören. An einem anderen Tag widmen wir die Mittagsraststelle zum Camp um: die Sonne ist uns gewogen, flußab ist eine immer wieder groß aufwallende Rauchwolkensäule zu sehen, und wir können nicht abschätzen, wie nahe diese dem Wasser ist. Beim Wandern stellen wir fest, dass das zugehörige Feuer doch weit entfernt und sich wohl nicht am Ufer befindet – was sich am nächsten Tag bestätigt. Es reicht allerdings für eindrucksvolle Fotos.

Wir sehen (und hören) abbrechendes Geröll von den Steilwänden, waagrecht, schräg, senkrecht stehende bunte Gesteinsabfolgen. An den weiteren Stellen sind weite Schwemmkegel und -flächen zu sehen und zu erwandern. Und zwischendurch auch unglaubliche Weite. Der Eindruck wird noch verstärkt durch die wechselnden Sicht – klar, viel – wenig Dunst, viele – wenige Wolken. Die Landschaft wechselt über die Strecke mehrmals den Charakter. Und der Fluß: es wird selten langweilig, jedenfalls nicht auf dem Wind. und bald macht sich ein Gedanke breit: jederzeit wieder (..noch einer, die Liste wird länger und reicht ins nächste Jahrhundert).

Kein Fluß ohne Geschichte. Für die Tetlit Gwich’in war der Wind eine regelmäßig befahrene Route für ihre jährlichen Wanderungen in ihrem Stammesgebiet. Er blieb nicht vom Klondike Gold Rush 1897 verschont. Etliche Goldgräber wollten über eine Route, die nur über kanadisches Staatsgebiet führt, zum erhofften Reichtum. Mit dem Timing klappte es jedoch nicht so recht, und eine größere Gruppe Männer macht über den Winter 98/99 zwangsweise unterwegs Camp. „Wind City“ am unteren Wind River verschwand wie vieles schon lange im Wasser, und heute weiß keiner mehr genau, wo die Blockhütten standen. George Mitchell – Versicherungsmakler aus Toronto – war unter ihnen, erreicht hat er das Ziel nicht. Er hinterließ eine Erzählung über seine Zeit bei den Gwitch’in, die ihm das Leben retteten. Die Kniescheibe bricht bei einer mißglückten Baumfällaktion, und zwei der Frauen der Gwitch’in nähen diese mit Karibousehnen zusammen, und pflegen ihn über den Winter. Dabei erlebt er ihre Wanderungen im Winter, immer den Karibou folgend, und kann im folgenden Sommer mit ausgeheiltem, wenn auch steifen Knie über Fort McPherson zurück nach Hause fahren.

Nach einem Ruh- / Geburtstag an den roten Cliffs am Ende des Wind River erreichen wir den Peel. Und wir verstehen, warum der mittlerweile in Kraft getretene „Peel River Watershed Regional Land Use Plan“ (nicht nur wir können Wortwüsten) die hier lebenden Menschen erleichtert hat: blanke Steinkohle tritt über Kilometer an die Oberfläche, an einer Stelle brennt sie sogar. Ein Abbau ist weder erlaubt noch rentabel. Der Anblick: faszinierend.

Im Peel geht’s bunt weiter, Steilwände, 200° Schleifen. Dazwischen kommt der Peel Canyon. Und wieder zeigt sich, was unterschiedliche Wasserstände ausmachen können: wir suchen die angekündigte Problemstelle immer noch, als wir über die leichten Verschneidungen am Ende längstens darüber hinweg sind. Um so mehr versuchen wir die Felsformationen per Kamera einzufangen, selbst bei trübem Wetter wie heute beeindruckend.

Nach der Snake Mündung / Taco bar und erst recht nach Caribou River läßt die Strömung deutlich nach, das Land ändert seinen Charakter: keine Verzweigungen mehr, flacher, die Bäume werden kleiner, die Kiesbänke verschwinden; die Zeltplätze werden spannender. Wir gönnen uns einen weiteren Ruhetag mit endlich mal ordentlich aufgebautem tarp (auch dazu existiert ein sehr erhellendes Zeitraffer Video..), Lesezeit, gutem Futter, warmen Wasser zum Haare waschen usw.. Ein doppelter Regenbogen umrahmt das Ganze wortwörtlich.

Das Feuer setzt auch den Tieren zu. Biberbesuch bekommen wir trotzdem. Geoff’s blaues Sitzkissen wird von einem arktischen Ziesel angenagt (kein Wunder, wenn man das Zelt über dem Eingang aufbaut), und eines Abends kommt auch eine Grizzlymama mit ihrem Kleinen vorbei. Kaum unser sichtig, gibt die Mutter Fersengeld, und das Kleine hoppelt so gut es kann hinterher. Eine Gruppe Dall Schafe steht am Ufer und ergreift erst relativ spät die Flucht. Wir sehen sie auch in den Hängen weiden. Ute, die oft als erstes Interessantes erspäht, sieht im Gebüsch einen Elch mit mächtigem Geweih, ich erhasche noch einen Blick – das war’s auf dem Trip zum Thema alces alces. Spuren gibt es jede Menge. Dafür halten sich die Mini Vampire meist zurück, auch schön. Und natürlich die Flugabteilung: Möven, Wanderfalken, Weißkopfseeadler, Raben, Gänse, Uhus, Loons…

Über Feuer gab’s schon Einiges zu lesen. Nun, der Name unseres Flusses – der kommt nicht von ungefähr. Das Wetter wird wechselhafter, Gewitter sind auch dabei, Regenschauer, interessante Wolkenformationen, und natürlich windet es auch. Wind – Mitwind: oh ja – Kurve: okaaay – Gegenwind: oh nein. Es gab auch die Variante morgens/nachmittags. Weiter unten am Peel, wo uns die Strömung sowieso schon versetzt, müssen wir auch mal unter Land, es stürmt von vorne. Wir vergleichen auf der Karte die Etappen mit denen vor 10 Jahren, der Einfluß von Strömung und Wind ist unverkennbar.

So erreichen wir den letzten Platz auf dem Fluss mit etwas mehr Arbeit als beim letzten Mal – denselben wie vor 10 Jahren. Intensives Bearbeiten des Uferbodens in Kombination mit dem Anbinden sämtlicher Leinen an herbeigeschleppte Steine ermöglicht ein hübsches Schlafplätzchen. Und endlich schläft auch der Gegenwind ein (das zarte Geplätscher nimmt ein Ende). Dieses Mal gibt es kein Schneegestöber mit Rühreiern zum Frühstück, sondern Sonne und eine idyllische letzte Etappe. Meine wie immer malträtierten Finger freuen sich. Der arktische Ozean ist nicht mehr weit.

Wir haben etwas Gas gegeben, so haben wir einen freien Tag in Fort McPherson haben bevor wir abgeholt werden. Ein Pärchen Holländer nimmt uns im VW Bus die paar Kilometer mit bis in den eigentlichen Ort. Eine Visite zum Grab der drei Ranger der Lost Patrol und ein Blick in das kleine Kirchlein mit einem schönen, bunten Glasfenster machen wir zuerst. Der Schlitten mit Hunden ist nur von innen zu sehen und passt sich wunderbar in die angedeutete Landschaft ein. Das letzte Hotel hat final geschlossen, in einem der beiden Supermärkte gibt es eine heiße Schokolade im Stehen. Der Ort leidet neben den üblichen Problemen dieser Außenposten auch noch unter den Nachwehen des massiven Hochwassers im Frühjahr, welches Fischerhütten und auch Wohnhäuser weggespült hat. Und am Campingplatz hat außer uns nur eine einzige Paddlergruppe übernachtet. Sommer am Dempster Highway.

Joe kommt wieder und bringt uns über Dawson nach Whitehorse zurück. Der Blick aus dem Fenster – Grün, braun, rot, schwarz – Sonne, kalter Nebel, Schlamm, Staub – Berge, Felsen, alte Moränen, offenes Land, Wald. Und dann hat uns die Zivilisation wieder, wir landen in einem Hotel mit einem redseligen türkisch-indischen Rezeptionisten, sortieren uns, und verschwinden wieder in einer Boing (die zum Glück nicht irgendwelche Teile verloren hat).

Zum Technischen:

Ca 520 Kilometer Gesamtstrecke, davon knapp 200 auf dem Wind River. Für die Strecke bis Snake Mündung: 12-14 Tage (Ruhetage auch zum Wandern), eine gute Woche für den weiteren Peel ist genügend Zeit auch bei Niedrigwasser. 2023 waren einige andere Gruppen unterwegs (mit Abbrechern) – offenbar wurde der Fluß im Winter davor etwas beworben.. Letztlich verteilt sich das aber, wir waren ab Anfang August unterwegs, ab Mitte des Monats wird es schon wieder ruhiger (und schon bald wieder Winter).

Beste Lektüre ist für mich weiterhin die Empfehlung von 2013: Juri Peepre/Sarah Locke: Wild Rivers of the Yukon’s Peel Watershed, mittlerweile in einer Neuauflage erschienen. „Da kann man sich gleich die anderen Seitenflüsschen des Peel anschauen resp. anlesen, da diese Tour starken Suchtfaktor in sich birgt.“ Und von/über dem erwähnten George Mitchell gibt es „The golden grindstone“ von Angus Graham, erhältlich als kurz kommentierten Nachdruck,