Prosa

By admin – Posted on 22 Januar 2015

Was lange währt, wird manchmal doch gut. Freunde in Ottawa liegen mir schon seit xy Jahren in den Ohren, ich müsse doch unbedingt den French River bis in die Georgian Bay paddeln, das sei mit Abstand einer der schönsten Stückchen Wasser in Ontario. Nach kurzen Winterbesuchen und einer zu großen Pause verbringe ich endlich mal wieder einen gemütlichen Urlaub in Kanadas Hauptstadt, treffe und wohne bei oben genannten Freunden – und natürlich: es muss gepaddelt werden. Aus dem Solotrip wurde ein Tour von drei Damen mittleren Alters (oder so) – eine Woche Schleifchen fahren am unteren French River mit Programmpunkt  Abhängen am Ufer der Georgian Bay.

Vorbereitung: Jetlag war nicht erlaubt, kaum angekommen wurde direkt geplant und umgepackt, und die ersten beiden Abende gab’s zudem Einladungen zum Abendessen: Mais, Kartoffeln und… Spare Ribs vom Schwein für den Gast aus Deutschland. Nur esse ich diese Tier eben seit meiner Zeit in Kanada nicht mehr, aber zum Ausgleich gab’s feinen Single Malt und lange vermisste Gespräche.

1. Tag – Anfahrt: Dot’s kleines, rotes Auto ist vollgestopft mit unserem Kram, Carmen bringt auch noch Futter und den wichtigen Knoblauch mit, auf dem Dach sind ein Tandem- und ein Solo-Kanadier festgezurrt, Leihgaben von Freunden und Nachbarn. Wir rollen über die Landstrassen Süd-Ontarios, und schaffen es am Nachmittag bis Hartley Bay. Anmelden (wir paddeln in einen Provincal Park hinein), Auto leeren und parken, Boot laden, Fotos .. endlich geht’s los. Wir paddeln noch anderthalb Stunden bis zu einem hübschen Plätzchen und genießen den Abend (paddeln im Halbdunkel und beobachten von Bibern inbegriffen).

2. Tag: Heute ist der Western Channel dran, das Wetter ist mäßig, windig, Regen ist im Anzug. Aber die Landschaft entschädigt auch dieses Mal. Der French River ist ein Geschöpf der letzten Eiszeit. Nach dem Rückzug der riesigen Gletscher über Ostkanada bildete sich u.a. um 4000 BC ein riesiger Vorläufer der heutigen großen Seen, der vor allem nach Süden und Osten entwässerte. Das gesamte Gebiet hebt sich weiter – bis heute an manchen Stellen (z.B. North Bay) bis zu 50 cm pro Jahrhundert. Kurz gesagt: der French River als Fluss, der nach Westen in Georgian Bay fließt, hat sich erst seit etwa 800 BC gebildet, und wird weiterhin steiler werden. Felspartien abgeschliffen von Gletschern, Risse und Gräben formen ein Labyrinth von Wasserwegen in dem man sich wochenlang ohne wesentliche Wiederholungen bewegen kann. .. wir fahren hinein…

Zur Kaffeezeit finden wir einen geschützten Zeltplatz, der uns vor dem Sturm in der Nacht schützen wird. Vor dem Regen wird gebadet, schließlich ist Hochsommer, auch wenn’s nicht so aussieht. Unterm Küchentarp (mittlerweile schüttet’s) repariere ich mal wieder einen Kocher, das Thema verfolgt mich seit letztem Sommer. Nun, das Essen wird warm, Tee gibt’s auch; Carmen erzählt Anekdoten mit frankokanadischen Akzent, Dot als einzige echt Anglophile arbeitet an meinen deutschen Slang, wir lachen den Regen aus – alles gut.

3. Tag: Old Voyageur Channel. Ein schmaler Flußarm, mit leichter Strömung, immer wieder schönen Felsformationen, schönen Plätzen, knatschroten Blümchen … und Regen. Nicht immer, aber es reicht immer, daß die Mini-Umtragestelle richtig schön glatt wird. Und der Voyageur Sash klatschnass wird und somit den Rücken eher kühlt denn wärmt. Soweit zum stilechten Outfit. Aber mit vereinten Kräften, und deutsch-englischen sarkastischen Bemerkungen geht alles. Irgendwie muss frau sich ja die heiße Schokolade verdienen.

Nach wenigen Kilometern verändert sich die Landschaft. Die Felsen werden niedriger, das Gelände öffnet sich, wir sind am Übergang zur Georgian Bay. Der Landschaft ist die geologische Verwandtschaft mit Skandinavien auch hier anzusehen, Schwedens Schärenküste lässt grüßen. Wir suchen uns eine Zeltinsel, der Hunger meldet sich. Am Himmel scheinen sich gutes Wetter von den großen Seen mit schwarzen Wolken vom Osten her zu streiten. Das drohende Gewitter macht an diesem Abend die Moskitos völlig irre, und wir kochen in kompletter Bug-Burka. Stunden später (erste REM-Phase) schlägt’s auch auf unserer winzigen Insel ein; damit bin ich hellwach, und stelle entnervt fest, dass ich dringend den Tee von abends los werden müsste. Jenseits der Zeltwand prasselt der Regen und die Moskitos sind immer noch gut drauf …ja, ich liebe Paddeltouren…

4. Tag: Ähnliches Wettergeschehen wie tags zuvor, mit Tendenz zur Besserung. Wir hangeln uns zwischen einer großen Auswahl von Inseln nach Südosten an der Bay entlang. Auch offene Wasserstrecken sind dabei, die Windgötter meinen es gut mit uns, und es ist recht friedlich auf den ungeschützten Strecken. Paddeln im Labyrinth macht viel Spaß, und wir suchen uns eine Insel, auf der wir einen Tag bleiben können. Unterwegs gibt’s Kraniche, Biber, Fischadler. Und viele Frösche. Das Klima ist über’s Jahr mild genug, dass Klapperschlangen hier leben können, aber sie sind selten und scheu, und wir sehen keine. Umgekehrt ist das Beobachten eher wahrscheinlich, drei homo sapiens machen viel Lärm, genug Zeit für die heimische Fauna um in Deckung zu gehen.

French River – die Indianer sprachen auch vom Fluss der Stock-schwenker/wedler. Beide Namen stammen aus der Zeit des (Biber-)pelzhandles, während dessen der Fluss eine wichtige Rolle spielte. Während die Engländer an der Hudsons Bay saßen und lange Zeit einfach warteten, daß die Indianer Pelze an die Station brachten, gingen die Franzosen zeitig ins Landesinnere. Samuel de Champlain wollte zu Beginn des 17ten Jahrhunderts eine bessere Kontrolle und mehr Wissen über die indianischen Mittelsmänner im Pelzhandel erreichen. Und er wollte wie viele andere auch in dieser Zeit noch einen Weg zu den Reichtümern des Orients finden – die Distanzen bis nach China über einen westlichen Weg wurden noch großzügig unterschätzt. Im Kielwasser und mit den ersten Weißen, die von Champlain nach „Huronia“ geschickt wurden, kamen auch sofort katholische Priester, die mit ihren Kreuzen Anlass zu dem zweiten Namen gaben. Unterbrochen durch die Irokesenkriege nahm der Pelzhandel entlang des French River als natürlicher Abschnitt auf dem Weg zwischen Montreal und Orten weiter in den Westen im 17ten Jahrhundert zu. Einschnitte gab es durch die Übernahme Quebecs 1763 durch die Engländer und dem Zusammenschluss der Hudsons Bay Company mit der NorthWestCompany im Jahre 1821. Während dieser Zeit fuhren große Birkenrindenkanus die Route ab, um Europa mit Pelzen für Filzhüte zu beliefern. Handel und Wandel schreiben manchmal eben irrwitzige Geschichten. Die Biber mussten fast dran glauben, die Änderung der Mode und eine bessere Verfügbarkeit von Seide ab Mitte des 19ten Jahrhunderts rettete die Tiere und bewirkten einen steten Abstieg des Pelzhandels. Der French River erlebte danach für einige Jahrzehnte viel Holzeinschlag, und mutierte im 20ten Jahrhundert zum Erholungsgebiet. Wer’s genauer wissen will – siehe Literaturseite.

5. Tag: Lay over – morgens Nebel. Zeit, um unsere Insel per Boot zu umrunden. Das ist doch allzu schnell getan, und so verschwinde ich später für eine Weile, um in der Umgebung Kanäle und Kanälchen abzupaddeln. Zeit für Fotos, Spaziergänge über die abgeschliffenen Felsen unserer Insel, Baden, nochmal paddeln. Die Sonne mag uns jetzt doch wieder, und so fange ich an, mit dem Foto nach unten gerichtet über die Insel zu laufen. Moose, Flechten, Steinstrukturen, Ausschnitte aus japanischen Gärten, verlorene Krabbenarme. Schön ist’s hier. Und der Blick auf die Bay ist der Blick auf’s Meer – Bay ist gnadenlos untertrieben.

Ich kann mittlerweile alle gut verstehen, die mich gedrängt haben, hierher zu kommen. Die Mischung macht’s. Unsere Woche hier ist nur eine Stippvisite, doch die wesentlichen Elemente sind dabei:  – von zivilisationsnahen Ecken, über die klassische Shield-Landschaft bis zum Binnenmeer ist alles auf relativ engem Raum versammelt, und man muss nur zweimal umtragen, und ist weit weg.

Abend wird’s. Dinner ist mein Job heute abend, es gibt frische Käsespatzen. Improvisieren ist mit kleinem Kocher und ebensolchen Töpfen angesagt, aber mit vereinten Kräften geht’s. Eine entspanntes Trio sitzt am Ufer, alles Langschläfer und Genießer, Bademeister und Feuerteufel. Gut ist’s.

6. + 7. Tag: Nach soviel Erholung geht’s morgens früh los. Wir wollen über den East Arm wieder Richtung Input, möchten heute zeitig an einem Zeltplatz sein, um Wochenendausflüglern zuvor zum kommen. Das gelingt auch, man merkt aber doch, dass wir wieder näher an die Zivilisation heran kommen. Auf dem Weg zwei Mini-Umtragestellen, und Sonne satt. Perfekter Abend, prima Badestelle. Tags darauf paddeln und segeln wir das letzte Stück bis Hartley Bay, fahren mit Sack und Pack noch ein gutes Stück bis Orilla. Morgen steht zum Abschluss das Canoemuseum in Peterborough auf dem Plan. Aber vorher gibt’s noch ein dekadentes Abendessen am Hafen…

Nachbereitung:  Nach dem Museum mit der Überdosis Paddelgeschichte müssen wird dann doch nach Hause. Auspacken, waschen usw.. Und nach ein paar weiteren Tagen wird nochmal gepaddelt: gewisse Menschen haben seit ca. 20 Jahren das Ritual, Labour Day Weekend in einem nahe gelegenen Park mit Boot und Zelt zu verbringen. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.