Das linke Ohr tief in den Daunen vergraben, hört das andere vertrautes Geklapper – Geoff macht sich an den Töpfen zu schaffen, um uns mit warmen Wasser für Tee und Kaffee zu versorgen. Sonst ist noch Friede, vom gestrigen Regen ist nichts zu hören, ich drehe mich auf die andere Seite. Für einen kurzen Moment kommt der Gedanke, dass es Urlaubsformen gibt, bei denen eine Nachteule auch ausschlafen darf. Und dass ich nicht jeden Tag alles einpacken, durch die Geografie fahren oder gar tragen, wieder aufbauen muss, von diversen anderen Dingen ganz abgesehen.
Die Augen gehen auf, die lästerlichen Gedanken verschwinden. Es ist immer noch hell, genau wie gestern Abend – Sommer nördlich des Polarkreises. Ich öffne leicht knurrend den Schlafsack – auch weil ich aus praktischen Gründen einfach raus muss. Heute keinen Eintütorgie (eben kein Regen, und keine durchdrehenden Blackflies) – anziehen kann im Freien geschehen; ich öffne meine grüne Hütte.
Der Rest der Kombo kommt auch – Tatjana sucht etwas in der blauen Küchentonne, Valerie ist am Feuer. Frühstück. Ein Blick in die umstehenden Gesichter erzählt, wie lange die Nacht nun wirklich war, Knitterfalten im Gesicht. Mittlerweile hat sich wieder ein Rhytmus eingestellt. Da wir uns den Luxus ordentlicher Mahlzeiten leisten, meist mit Feuerchen und wenn’s geht im Trockenen (was tagtäglichen Auf- und Abbau eines Küchentarps bedeutet), dauert das Prozedere morgens vom Aufstehen bis zum Absetzen der Boote für die nächste Tagesteappe am Anfang recht lange. Alles ist gut, wenn ich Wasser und Zeit für eine Kanne Tee für unterwegs bekomme, der Rest geht zur Not auch auf Automatik. Der Himmel hält dicht, aber er ist grau.
Mittag. Die Strömung ist gut, wir paddeln an hügeligen Gelände vorbei, die Berge im Hintergrund sind auf halber Höhe abgeschnitten. Tatjana entdeckt in all dem Grau doch etwas Fotografierwürdiges. Ich habe bei den Lichtverhältnissen erstmal Medienpause, und stecke weiter das Paddel ins Wasser, halte das Boot auf Linie für die Dokumentatorin im Bug. Es beginnt zu nieseln.
Mit dem Niesel kommt die Stille – kleine Punkte auf dem Wasser, der sonst nie verschwindende Wind ist weg, ein zartes Geprassel auf Spritzdecke und unseren Jacken beginnt. Ich kann nicht sagen warum, bei mir weckt sowas eine Art Singreflex – Texte und Lieder, die – zumindest zum Teil – sonst auf der der „no way“ Liste stehen, kommen hoch; wir fangen an zu singen. Laut und nicht immer unharmonisch. Geoff und Valerie sind ein Stück weg, hören uns bestens – Wasser trägt eben weit, seine Geheimnisse sollte man auf dem Fluss nur dann ausposaunen, wenn andere Leute kilometer weit weg sind. Na, jedenfalls hilft es der Moral, paddeln geht so besser, und ich vergesse, dass es regnet.
Nachmittag. Der Regen hat wieder aufgehört, die Temperaturen sind weiter frisch. Zum Lunch gab’s wie immer eine Pause an Land, Geoff mimte den Handelsvertreter für Tortillas, die Stimmung ist gut. Wir sind wieder unterwegs, bald geht die Suche nach einer passenden Kiesbank für unser Quartier los. Vorher gibt’s die ersten blauen Flecken am Himmel – und den dazugehörigen Gegenwind. Wanderfalken kreisen, machen Radau – sie können nicht wissen, dass wir ziemliche Probleme hätten, ihren Horst zu erreichen, und das auch gar nicht vorhaben. Die Gedanken wandern. Lachse ziehen uns entgegen, gelegentlich platscht es heftig, graue und rötliche Rücken sind kurz über der Wasseroberfläche zu sehen. Meine gelegentlichen Angelversuche haben eher Zencharakter – die Lachse haben anderes im Sinn als zu fressen, und die anderen Spezies sind bevorzugt an Bachmündungen anzutreffen, wo wir nicht bleiben: zu viele Grizzlies. Es ist ihr Land, wir sind die Gäste. Da ist man dann doch schon höflich, und stört nicht beim Fischfang der Petze.
Trotz (oder wegen?) des Regens ist dies ein eher entspannter Paddeltag. Abwechslung zu diesem Programm gibt es während der drei Wochen unserer Fahrt hinlänglich. So beschert uns das subarktisches Wetter interessante Varianten; es ändert sich binnen Stunden. Es gibt keine frostfreien Monate im Sommer, wie auch wir in einer kleinen Stichprobe erfahren dürfen. Nach einer wegen Gegenwinds in Sturmstärke abgebrochenen Etappe ist der Morgen klar, sonnig, und Zelte, Boote sind mit Frost überzogen. Selten ist das Dampfen des Teekessels so intensiv und so willkommen.
Nachmittag – Später: Tajana und Geoff erkunden das Hochufer auf Tauglichkeit für das nächste Lager. Sie sind ausser Hörweite – die Pantomine schwankt zwischen Feldherrngesten und komplexen Bewegungen, die darauf hindeuten, dass die Vorhut sich nicht einig ist. Nach einer Wiederholung dieses Manövers ein paar Kilometer weiter ist es dann soweit: hier bleiben wir – alles ausladen, Küche aussuchen, Futtertonnen dorthin schleppen, Zelt aufbauen, Küche aufbauen (incl. tarp), Tee kochen (?), Badeeinheit, Abendessen kochen, chillen, Tagebuch. Oder so ähnlich – Reihenfolge kann variieren, einzelne Punkte können sehr knapp ausfallen.
Abend: An den ersten Tagen trickst uns der Sommer im Norden. Wir lassen uns Zeit, es gibt abends immer Feuerchen. Der Fluss spendiert jede Menge Feuerholz, und Valerie ist mit der Säge unterwegs, noch bevor ich mein Tageshotel durchgestylt habe. Beim Griff zum Tagebuch stelle ich fest, dass es schon nach 10 Uhr abends ist. Was ist Zeit auf dem Fluss? Letztlich muss das jeder Flussläufer für sich selbst entscheiden, doch mir scheint, dass viele Ähnliches mit jeweils anderen Worten beschreiben. Immer wieder habe ich den Eindruck, in einer realeren Zeit zu sein, mit einer klaren Struktur, die sich aus den Notwendigkeiten des Tages ergeben, nicht aus der Synchronisation mit einer menschengemachten Uhr. Die Schönheit dessen, was ich zu sehen und zu erleben bekomme, kommt damit auch aus der Entkopplung von der industriellen Taktung, mit der der Akzeptanz der anderen, inneren Zeit.
Und so wünsche ich mir zwar nochmal zwei Stunden extra, wohl wissend, dass ich von der Zeit auf realen Flüssen nie genug bekommen werde, und suche dann doch den Schlafsack auf, ehrlich müde und mit dem Fragezeichen im Kopf, was der Fluss morgen so mit mir vor hat.