„Die Römer sind bisher nicht über die Elbe hinausgekommen“ – so sah das der griechische Geograf Strabo. Arminius und andere sorgten dafür, dass sich die Römer auf eine Linie Rhein – Limes – Donau zurückzogen – im sicheren Abstand zur Albise. Tacitus hatte Probleme zu beschreiben, wo genau im Osten Germanien endet und beschränkte sich auf ein eher idealisierendes Bild der in den Wäldern östlich der Limeslinie lebenden Germanen. Im nachfolgenden Mittelalter und darüber hinaus erscheint dieser Fluß immer wieder als mehr oder minder deutlich Grenze zwischen Reichen, Einflußsphären, Wirtschaftsformen, Einstellungen usw. Bis ins 20 Jahrhundert und heute.
Man kann die Elbe auch paddeln; imperiale Römer, zu Überfällen neigende Germanen und Karls Sachsenjäger sind schon lange weg. Womit wir in der Gegenwart wären. 2020 und 2021 hatten für mich noch deutlich drängendere Probleme als Covid-19 im Angebot. Urlaub gab’s zuletzt 2019. Eine fast spontane Tour auf der Elbe rettete dann den Sommer 2021 – zwei Wochen im Kanadier mit Sonne, Sturm, Kultur, Biergarten und Badeeinheiten.
0 – 1 Der klassische Einstieg ist bei Schmilka. Tatjana sammelt mich, das Boot und das sonstige Gepäck in Speyer ein und wir erreichen nach einem späten Start Oberkotzau im Fränkischen. Der Hirsch auf dem Teller hat glücklicherweise keinen Bezug zum Ortsnamen und schmeckt vorzüglich.
2 Erste Station „Ferdinand’s homestay“ unterhalb Königstein. Ruhiger Platz, unkomplizierte, nette Campverwalterinnen. Wir nutzen den ersten Tag zu einer Paddeltour ohne Gepäck ab Schmilka bis hierher. Etwas umständliche Anfahrt zum Input über Ampelanlagen in der Pampa – ein abseits gelegener Campingplatz ist eben nicht direkt an der Fernstraße und fördert den Genuß der Langsamkeit.
In Schmilka angekommen versuche ich mich ohne Erfolg an den Input bei meinen vorhergehenden Elbetouren zu erinnern. Ist wohl doch zu lange her. Auf dem Fluß dann: Schlauchboothelden werden von furchtlosen Guides vor dem mutigen Befahren der wilden Elbe gebrieft, Raddampfer mit weniger abenteuerlustigen Touristen ziehen vorbei, SUP’s und andere Gummiboote kreuzen. Die Felsen der Sächsischen Schweiz sind sehenswert wie immer. Das Zurückholen des Autos entwickelt sich zum Mikroabenteuer: die Lokführer streiken, es gibt Schienenersatzverkehr per Bus. Ein Jugendlicher muss die bereits angefutterte Eistüte aus dem Bus entfernen (Coronaregelungen ÖNVP), drückt sie einem anderem Menschen an der Bushaltestelle in die Hand, der freudig weiter daran schleckt. Das Basiswissen über Ansteckungswege in Zeiten von Pandemien ist eben nicht gleichmäßig verteilt und ermöglicht bei Mangel eben sinnfreies Handeln. Auf dem Rückweg gibt es gutes Futter in Bad Schandau (Coronakonform).
3 Endlich geht‘s mit Gepäck im Boot weiter – nach Laubegast. Sonne pur, Biergarten mit Gurken-Zitronenlimo. Die Paddelkollegen in Laubegast sind auch sehr nett. Nur ist der Platz vor dem Klub eher „öffentlich“, was zwei Polizisten am nächsten Morgen bewegt, uns zu kontrollieren und zu Ermahnung anzusetzen. In normalen Zeiten muss hier der Teufel los sein. Der Platz ist allerdings ganz offiziell für Paddler vorgesehen, was den Ordnungshütern nicht bekannt ist. Auf dem Gehweg werden wir von Kamikaze-Radfahrern auf Trab gehalten, und erreichen die rettende Pizzeria am Abend mit leicht erhöhtem Blutdruck.
4 Nach Coswig. Vorbei an Dresden, weiterhin kommen wir durch voll touristisch erschlossenes Gebiet – wieder locken die Biergärten, die bevorzugt Radfahrer bewirten. Doch die Landschaft wird schon flacher. In Coswig erwartet uns ein hübsches Kanuclubgelände, was weitere Bootsfahrer zu schätzen wissen. Unter anderem kommt eine Gruppe mit Leutchen im Studierendenalter, die die Faltbooterbstücke ihrer Eltern die Elbe herunter paddeln. Wir treffen sie später nochmals – eine nette Truppe. Nachts um 2 Uhr geht die örtliche Sirene für die freiwillige Feuerwehr los. Die Ruhestörung wird vorab ausgeglichen durch Eisvögel, Pirole und Vollmond.
5 An Meißen vorbei geht’s nach Riesa. Unterwegs scheint sich Rhabarberschorle als Basisdurstlöscher einzubürgern. Die Landschaft hinter Meißen ist offen, Flußauen mit Kühen, Schafen, Ziegen, Pferden begleiten uns. Es wird einsamer an den Ufern, größere Orte liegen hinter uns. Wir kommen trotz träge fließender Elbe frühzeitig in Riesa an. Nach einer eher deprimierenden Shoppingtour landen wir vor einem Bauwagen als Cocktailbar an der Elbwiese. Die Mischungen wirken sofort. Im Bootshaus findet eine türkische Hochzeit statt. Die Lärmkulisse ist beachtlich, und nach deren Ende kommt Techno aus einer anderen Ecke. Wir überleben auch das.
6 Heute geht’s bis zum Ruderverein in Mühlberg, der uns auch wieder sehr nett sein Gelände mit Küche zur Verfügung stellt. Gleich um die Ecke ist ein schöner Badesee, in der Gaststätte Seeblick gibt’s auch noch kühlende Getränke. Wir sind hier an der Grenze Brandenburg/Sachsen; der Ort hat inklusiver aller Gemeindeteile ca. 3000 Einwohner. Die Gegend ist, was landläufig als strukturschwaches Gebiet bezeichnet wird; mehrere Einheimische erzählen über die Schwierigkeiten in der Nähe Arbeit zu finden oder Jugendliche im Ort halten zu können. Die letzte Gaststätte wird in wenigen Tagen schließen.
7 Auf nach Torgau. Wetteraussichten: Sturm, dann Regen. Und so kommt‘s dann auch. Im Schutz des linken Ufers, leider etwas gestört durch Buhnen, die uns wieder in den windgepeitschen Strom schicken wollen, kommen wir trotz Schaumkrönchen (natürlich Gegenwind, was sonst) dann doch am Zielort an. Start zu diversen Lehrstunden in Sachen Luther und die Folgen. Im Kanuverein gibt es kleine Zimmer mit Betten, die wir in diesem Fall auch nutzen. Tolles Essen bei „Herr Käthe“, wenn’s auch etwas dauert.
8 Mit Bus und Bahn besichtigen wir neben Torgau auch Leipzig und Wittenberg. So erfahren wir, was wir schon immer über den Beginn des Protestantismus wissen wollten und nie zu fragen wagten. Torgau selbst hat eine sehr vielfältige Geschichte. Bekannt im Westen eher durch die offizielle Begegnung amerikanischer und sowjetischer Truppen am Ende des zweiten Weltkriegs hat diese Stadt eine Abfolge absonderlicher Strafanstalten aufzuweisen: Gefängnisse der Nazis, des sowjetischen Geheimdiensts, der DDR zzgl. Jugendknast der DDR. Torgau war aber auch Heimat der drei Kurfürsten, die maßgeblich Luther und die Reformation unterstützten und somit beim Überleben halfen. In der ganzen Gegend findet man Original- Cranachs in Kirchen – solche Gemälde kannte ich bisher nur aus Museen – und in Wittenberg kann man sich die Häuser und Werkstätten der Dynastie anschauen, neben Lutherhaus und Schloss. Leipzig ist dann das Kontrastprogramm – groß, modern, Uni, Museen, Leben.
11 Es wird einsamer. Auf der Strecke bis Elster sind wird fast immer alleine – zumindest was homo sapiens betrifft. Dafür jede Menge Flugshows – Falken, Fischadler, Seeadler, explodierende Starenschwärme, Kiebitze auf den Buhnen, Rotmilane, Grau- und Silberreiher. Und Raben – bei uns im Südwesten gibt’s die ja nicht, aber das Gekrächze ist unverkennbar. Die Ufer erschienen teils bewirtschaftet, teils fast wild, und herrenlos wirkende kleine Herden der weiter oben genannten Haustiere sind immer wieder zu sehen. Nach einer entspannten Tour landen wir wieder an einem großen Gelände mit schöner Wiese, diesmal in Gesellschaft von Campingbussen.
12 Flora und Fauna bleiben wie am Tag zuvor. Windloser Friede auf dem Fluß. Der Kanuverein in Coswig (Anhalt) kommt fast zu früh. Und dort ist Betrieb: die Faßbieranlage ist eröffnet, und so erfolgt der nächste freundliche Empfang. Die heutige sollte nicht die letzte Etappe sein, doch die Eisenbahnergewerkschaft hat was gegen unsere Pläne: Streik im Fernverkehr ab übermorgen. Da käme ich dann nicht nach Hause. Also ist dies doch der letzte Flußtag – Rückfahrt und Autonachholen müssen am nächsten Morgen stattfinden. Wir fahren mit der Fähre nochmal auf das gegenüberliegende Ufer zwecks Nahrungsaufnahme und beschließen den Abend mit Faßbrause und Bierchen. 13 Regen schlägt an das Fenster des ICE’s. Zu Hause angekommen das übliche Aussortieren schmutziger Wäsche, merkwürdiger Mitbringsel und schöner Erinnerungen im Kopf und auf Chip. Ein paar Dinge müssen nach mehrjähriger Pause wieder „renoviert“ werden, bald ist Winter und Zeit dafür. – Römer, Ordensritter und Junker geistern immer noch durch mein paddelentspanntes Hirn. Zum Einstieg in die oft turbulente und widersprüchliche Geschichte der Mitte Europas während der letzten 2000 Jahre ist James Hawes „The shortest history of Germany – die kürzeste Geschichte Deutschlands“ lesenswert: sowohl ernst als auch augenzwinkernd und in einer leicht verdaulichen Kürze.