Aus dem Tagebuch

Die Futtertonne wird sehr schwer werden. Tomatenmark gibt’s nur in Dosen, nicht getrocknet, auch keine Fleischkrümmel – auch dafür dann wieder Dosen; wenigstens gibt es Hülsenfrüchte im praktischen 5 Kilopack. Knapp drei Wochen später – nachdem die Tonne schon geleert ist, werde ich endlich die Läden (wieder-) finden, wo es Tomatenpulver und Ähnliches gibt..

Es stapfen noch mehr karohemdentragende Menschen mit großen Fragezeichen im Gesicht durch die Gänge, über denen eine in allen Sprachen lesbare Sprechblase „Achtung: gefräßiger, deutscher Paddler“ schwebt. In der Hand mit einem offenbar sehr wichtigen Dokument bewaffnet, werden die Regale geplündert, und der Wagen füllt sich mit meist gehaltvoller Nahrung, in denen die verbleibenden Vitamine nur noch ganz schwach „Hilfe“ rufen. Es ist Sommer in Whitehorse am Yukon.

Zwei Tage später wird die Tonne nebst anderen Kleinigkeiten aus dem Bus gehievt, der uns bei Johnsons’s Crossing absetzt. Uns heißt: Opa Ernst, Ute & Michael, die Kurzen Timon & Maren – kurz: die Kölner – und ich darf auch noch mit. Ein jeder macht sich auf seine Art nützlich – Angel ausprobieren, ins Boot setzen, Landschaft bestaunen – so schöne Bäume.. – ach ja, einpacken war ja auch noch gefragt. Und schließlich sind ca. 25000 Tonnen, Tönnchen, Säcke und Säckchen in vier Booten verstaut, und die Paddler passen auch noch ‘rein. Die Sonne lacht, ich habe die Sonnencreme unten im Erste Hilfe Beutel vergraben, der Wind ist uns hold, die Strömung noch nicht so recht– der Teslin ist nett zu uns. Abends spannt die Haut über der Nase, und es geht nicht nur mir gut.

Ein Wunder geschieht am nächsten Morgen: ich darf ausschlafen. Es gibt offenbar Paddler, die nicht um 6:30 Uhr morgens mit dem Frühstückgeschirr klappern (von düsteren Erinnerungen dieser Art leben auch noch heute meine paddlerischen Albträume). Alleine dafür muss man die Bande aus Köln einfach mögen. Und die Auswahl am Frühstücksbuffet lässt sich sehen, schließlich müssen wir heute alle noch hart arbeiten, oder paddeln, oder treiben..?

Der Teslin bleibt noch breit, ich habe schon wieder die Sonnencreme vergessen. Die ersten Elche lassen sich blicken. Auch beginnt nun der Wettbewerb „wer sieht die meisten Weißkopfseeadler“ – ich habe zwar das Fernglas, da aber die anderen noch zwei Wochen länger unterwegs sind, gewinnt Timon. Zum Abendessen gibt‘s heute endlich Spaghetti – welch‘ Überraschung. Und die tägliche Peilung findet auch statt: Michael hat ein hübsches Spielzeug dabei, dass uns ganz genau sagt, wo wir abends unser Zelt aufschlagen. Und so gibt es bislang ganz unbekannte Einträge in meinem Tagebuch. Selbiges kann man dann später den Enkeln in die Hand drücken, damit diese die Tour von Oma ganz genau nachfahren. Das Improvisationstalent der Nachfahren wird allerdings gefragt sein, wenn die Koordinaten des Zeltplatzes 30 Jahre später ins Wasser zeigen. Große Flüsse sind veränderungsfähiger als man meist denkt.

Ute stopft noch Säcke, Tarp, Angel, Bilderbuch, Flöte und Kinderlein ins Boot (die großen Männer kämpfen mit ihren großen Packaufgaben – wo tue ich mein GPS hin? Oder: was tue ich heute in den praktischen, gelben Eimer?), da darf ich mich schon auf dem endlich strömenden Teslin treiben lassen. Nach ausgiebigem Genuss der Idylle lege ich an, und versuche die schwimmenden und schmackhaften Bewohner des Flusses davon zu überzeugen, sich doch an das goldene, eiernde Ding am Ende meiner Angelrute anzuhängen, um sich abends von uns verspeisen zu lassen. Ich meine Gelächter unter der Wasseroberfläche zu hören. Vielleicht sollte ich das Angelgeschirr gleich als Gymnastikgerät benutzen, ohne mir die Mühe zu machen, es immer wieder ins Wasser zu werfen – im Resultat ändert sich nichts.

Mittlerweile kommen die anderen heran, und als erstes hört man liebliche Flötenklänge. Timon schaut konzentriert auf ein leicht flatterndes Notenheft im Bug des Kinderexpresses, und im Gebüsch wundern sich garantiert ein paar Tiere, was die Touris heute für eine Sprache reden. An anderen Stelle treiben wir (oder paddeln) an einem langen Gebüsch vorbei, und wirken offenbar so harmlos, dass Mama Elch und Mini Elch liegen bleiben und nur uns gelangweilt zusehen. Maren ist begeistert, will was von ausgestopften Plüschtieren erzählen, und heraus kommen Elche mit Verdauungsstörungen (siehe Titel).

Der nächste Tag beschert uns einige Begegnungen der besonderen Art. Zuerst kommt morgens während des Frühstücks ein weiterer Solofahrer vorbei, den wir mit „Coffee or Tea?“ zu uns ans Ufer locken. Ein britischer Bergbauingenieur, der wie so viele auch vor Jahren hier ins Land zum arbeiten kam. Die Arbeit ist weg, der Mensch ist noch da, und es geht im gut dabei. Er trinkt einen Tee, redet weiter mit unverkennbar britischem Akzent und paddelt nach einer längeren Pause seine Steaks, den Kohl und das komische, lange, verpackte Ding den Teslin ’runter. Kurz danach – immer noch am Ufer – ruft Maren was von Elchen mit roten Paddeln. Ein Flutwelle aus Kanadiern und Schlauchbooten rollt den Fluß herunter. Kanada hat eine Freiwilligenarmee, und damit das so bleibt, wird jüngerer Nachwuchs – Armeekadetten – auch mit Flusscamps angelockt. Da die Jungs und Mädels allerdings etwa die doppelte Tagesleistung abliefern müssen wie wir, werden bei unserer ersten Begegnung schon die ersten Verluste abgeschleppt, und wie viele eigenständig Paddelnde da am Ende übrig waren, entzieht sich unserer Kenntnis.

An unserem Tagesziel sehen wir sie heute noch mal wieder, und tragen unbeabsichtigt etwas zur Vermittlung feiner, kultureller Unterschiede bei. Ernst hat ein kleines Problem mit unserer Bärenabwehr. Anstatt diese Waffe (Pfefferspray vom Feinsten in XXL-Dose) todesmutig jedem vorbeikommenden Bär entgegenzuhalten, hat er selbige erst mal selbst im Gesicht und an den Klamotten, ohne dass überhaupt ein zimtfarbenes Zotteltier zu sehen gewesen wäre. Zur Vermeidung weiterer Schäden –ich kenne nichts, was schrecklicher brennt – findet ein ziemlich schneller Striptease samt improvisierter Dusche statt, die Armeekadetten (ca. 60 Leute) legen gleichzeitig alle an, um eine Hütte zu besichtigen, und Ernst wandelt in schwarzen Unterhosen zwischen den meist recht prüden Kanadiern. Er verwickelt sie in seinem doch germanisch geprägten Englisch nach überstandenem Schrecken (zur Ablenkung von seinem brennenden Gesicht) in eher einseitige Gespräche. Sie legen dann auch bald wieder ab, ohne Teepause.

Den Platz haben wir für uns alleine, und bleiben. Ein Bächlein liefert Fisch im Überfluss – am zweiten Tag gibt es Frikassee. Timon angelt gerne, aber alles was dann folgt, bis der Fisch köchelnd aus der Pfanne kommt, ist ihm sehr suspekt. Also gibt’s auch hier eine Arbeitsteilung, und am zweiten Tag mag keiner mehr so recht Fisch. Unsere Hausmöve labt sich an den verschmähten Innereien.
Malen, schlafen, gammeln, waschen, kochen, spülen, angeln, fotografieren, erzählen – es ist erstaunlich, wie schnell doch zwei Ruhetage vorbei gehen.

Irgendwann fließt jeder Bach in einen größeren, oder ins Meer, und so erreichen wir auch den Yukon. Der am Zusammenfluss liegende Zeltplatz bietet auch Kontakt mit Ruderern, und auf den Lachsfang wartenden Einheimischen (mit großen Kisten gut gekühlter, wohlschmeckender Flüssigkeit gelblicher Farbe in an die durchschnittliche Handgröße angepassten Behältern). Ich versuche mich mal wieder an Backen von Brownies (hohes Kcal/gr und noch höheres Suchtpotenzial), und beschließe danach, diese Spezialitäten nur noch im Wasserbad zu backen. Der neue Kocher brutzelt einfach alles weg. Und die Tonne wird leichter. Reste von großzügig gekochte Dinnerportionen werden dankbar von weiteren Telnehmern gegessen – so sind alle glücklich: satt, und die Schlepperei lässt auch nach. Es ist immer wieder schön, was man unterwegs alles ungestraft in sich hineinstopfen darf.

Nach einigen Tage manchmal spannenden oder auch kühlen Wetters wird es wieder richtig heiß. Am Himmel erscheinen merkwürdige Wolken. Es brennt in den Wäldern am Yukon. Der Nebel, der durch kleinere oder weiter entferntere Feuer entsteht, ist aber mit normaler Waschküche nicht zu verwechseln. Wir beobachten das Ganze, aber größere Aktionen sind nicht nötig, da es nur auf kleiner Flamme weiterköchelt.

Wir bleiben noch mal an einem Bächlein. Diesmal gibt’s keine Fische – nur wir hüpfen im flachen Wasser herum, und sind schwerlich mit Fisch zu verwechseln. Dafür bekommen wir Besuch von einem japanischen Pärchen. Sie inspizieren genauestens den zusammenklappbaren Ofen, den wir zum Kochen und zur Müllverbrennung dabei haben. Ernst baut sie selbst, und bei der Gelegenheit hätte er den ersten nach Übersee verkaufen können. Er wird aber noch gebraucht; vielleicht gibt’s aber doch in in paar Jahren diese Öfen Made in Japan…

Für mich nähert sich das Ganze dem Ende. Ich will/muß in Carmacks ‘raus, und von dort nach Hause. Es ist sonnig, vor der Hitze schützt die schon erwähnte Feuernebelglocke. Auf den letzten Etappen platscht und spritzt es immer wieder – der Zug der Lachse hat begonnen, und das ist eine laute Angelegenheit. Am vorletzten Tag springt plötztlich ein riesiger, roter Sockeye sehr nahe vor mir hoch aus dem Wasser, und landet glücklicherweise nicht aus Versehen in meinem Boot: bei der Größe dieser Fische hätte es wohl eine Kenterung, ziemlich viel Schleim an den Klamotten, eine unflätig fluchende Bootsbesitzerin und einem irritierten Lachs  und keine Lachssteaks gegebe. Eigentlich schade, dass einem da die Pranken der Bären fehlen.

Ein bisschen Schmalz muß sein: in der letzten Nacht treibt mich der abends getrunkene Tee aus Schlafsack und Zelt. Nachdem die Augen endlich ganz auf sind, erkenne ich am Himmel weißliche, wandernde Schlieren: Polarlicht – nur schwarz/weiß, aber genauso faszinierend wie die Farbversion. Da steht man doch gerne auf….

Der Rest ist wie immer: ein letztes Mal anlegen, alles Gerümpel das Ufer hoch, alles sortieren. Als Extra ist dieses mal wieder Boot abbauen dabei, was einige Neugierige am Zeltplatz anlockt. Zum Schluß bleiben zwei große Säcke, die mitsamt der Besitzerin nach Whitehorse und von dort wieder nach Europa transportiert werden. Bis zum nächsten Mal…