Kathmandu – Pokhara und zurück

Willi drückt mir die Kamera in die Hand. Ich schätze noch ab, ob der Schlagschatten, den ich werfe, mit ins Bild gerät. Blick durch Sucher, Willi blinzelt in die Linse, Klick, fertig. Ich setze die Kamera ab, und habe das untrügliche Gefühl, in diesem Nest  noch länger bleiben zu müssen – dürfen: beides wird am Ende richtig sein. Es ist halb drei, das Nest heißt Arya, und wir stehen hier mit einem Platten des Hinterreifens meiner Pseudo-Honda. Das Treiben um uns geht unvermindert und denkbar ungestört weiter, Kids, Hühner, Enten, Leute sind zahlreich auf der Straße. Ich bin mir noch nie auffälliger vorgekommen als hier; daß wir hier nicht hergehören, ist offensichtlich. Dennoch komme ich mir nicht so beobachtet vor wie sonst. Mit ein Grund, mich trotz allen Ungemachs wohl zu fühlen. Dennoch – wie komm ich nur hierher????
Beginn ganz vorne? Ottawa/Kanada Winter 1995/96. Rony schickt einen seiner Briefe, die mich ahnen lassen, was zu Hause im vergleichsweise warmen Deutschland so passiert. Wie so oft kommt das Wesentliche im Postscriptum: Er habe sich beim Deutschen Entwicklungsdienst beworben, und brauche Fürsprecher – ich hätte doch sicher nichts dagegen, daß ich in der entsprechenden Liste mit angegeben worden sei?
Ein Jahr später dann die Nachricht – Rony, Mary-Ellen und ihre drei Zwerge gehen nach Nepal, zum entwickeln. Frühjahr ‘97 – ich bin mittlerweile in der Schweiz und packe die schon wieder die Koffer für, ja diesmal für Deutschland – erste konkretere Planungen für einen fetten Urlaub in Nepal im Herbst, wenn die Regenzeit dort (noch nicht bei uns) vorbei ist. Willi ist mit dabei, und da wir beide gelegentlich auch gern per Mopett unterwegs sind, beackert Rony uns via Brief und e-mail eine Tour eben per motorisiertem Zweirad mit einzuplanen. So kommt’s, daß wir neben dem obligatorischen Trekking, dem Nationalpark im Terrai und längeren Abschnitten in Pokhara auch ein paar Tage auf Nepal’s Straßen verbringen.

Kathmandu – Pokhara – Kathmandu Oktober/November 1997

Mittwoch, 29.10.97

Ankunft im ziemlich heißen, lauten und chaotischen Kathmandu. Rony hat Blumen (leuchtend gelb und zweifelhaft duftend, dafür traditionell) für die übernächtigten Reisenden – ergattert bei den gerade stattfindenden Festen zum Tihar. Die Gäste sind müde. Einquartierung. Wir haben sehr schnell das Gefühl, hier bei allem Pflichtbewußtsein des bildungsbeflissenen Fernreisenden nicht länger als einen weiteren Tag bleiben zu wollen. Raus ins’s Land!

Donnerstag, 30.10.97

Bodanth, Pashupatinath, Swayambuthnath, Dhurbar Sqaure, Thamel.. Intensive Eindrücke, aber uns steht der Sinn nach mehr Ruhe. Wir müssen noch die Motorräder organisieren. Rony hat ja sein 185er  Dienstmopett, ich suche eine eher landesübliche Mini-Enduro der 125ccm Klasse, Willi besteht auf einer 250er – wegen größerer Körpermasse. Die Suche entpuppt sich als erste pittoreske Einführung in die Landessitten.
Eigentlich läuft alles über einen sehr netten Menschen aus einem der in Tharmel öfter anzutreffenden winzigen Reisebüros. Die Detailverhandlungen verlangen allerdings den Rundgang durch mehrere obskure Läden und Garagen. Ich werde mein Motorrad erst am folgenden Tag zu sehen bekommen (Blindbuchung), Willi dafür eine andere – schlechtere – Ausgabe des Teils, das er abends zuvor besichtigt. Hier bereits der obligate Nepalitee – Tee, Milch, Cardamon, Zimt, Zucker etc. – für die unvermeidlichen Wartezeiten.
Nach getaner Arbeit haben wir Hunger, es ist mittlerweile ziemlich dunkel. Als ich beim Warten auf’s Essen mal wieder mein etwas wehleidiges rechtes Knie sortiere, drehe mich um und entdecke an der Wand einen der zahlreichen eher praktisch veranlagten Buddhas im Lande. Eine goldene Statue, umgeben von diversen Räucherstäbchen, thront über einem Kasten, der ca. zwei Dutzend Ein-/Ausschalter auf der Vorderfront trägt. Ein Buddha als Schutzheiliger der Elektrozunft? Wir werden später noch des öfteren erleben, daß gerade er mit seiner Aufgabe zeitweilig überfordert ist. Aber wer weiß, was ohne ihn noch alles passieren würde…

Freitag, 31.10.97

Erster Teil einer viertägigen Rundreise, die uns von der Hauptstadt Kathmandu bis zum Wohnort Ronys Pokhara (ein Tag) und wieder nach Kathmandu führt (drei Tage). Eine der wenigen Hauptverkehrsstraßen in Nepal bringt uns aus Kathmandu heraus. An diesem Tag bekommen wir eine sehr plastische Darstellung davon, daß die z.T. in deutschen Atlanten eingezeichneten Sekundärwege in Nepal einfache Trampel- und Mulipfade sein können.
Doch zuerst der Nepali way of life. Als wir am Reisebüro ankommen, gibt’s erstmal wieder Tee für alle, denn in der Bude nebenan zerlegen gerade vier eifrige Hände mein Motorrad – Ölwechsel und Anderes. Ich entdecke eine Beule am Hinterreifen – es wird solange gebastelt, bis sie verschwindet. Die Testfahrt im Menschengewühl Tharmels verläuft recht eirig, sie offenbart den Fast-Totalausfall der Hinterbremse. Willi runzelt die Stirn, da er ein Ersatzmotorrad bekommt. Rony treibt an – es ist schon nach 11 Uhr. Ich denke, bis Pokhara wird’s die Bremse schon machen, schnell fahren ist sowieso nicht angesagt, und es geht endlich los.
Das Wetter ist auf unserer Seite. Die Götter der Straßenbauer sind’s nur zu Beginn – schon bald nach Verlassen der Hauptstadt schlägt die Realität in Form abenteuerlicher Schlaglochpisten zu. An die Fahrweise aber gewöhnen wir uns erstaunlich schnell. Eigentlich herscht Linksverkehr, aber eben nur eigentlich. Gefahren wird, wo immer Platz ist, unter freundlicher Zuhilfenahme der Hupe. Das bringt mich in der Dämmerung etwas ins Schwitzen, denn bei meinem Motorrad funktionieren zwar Licht und Hupe, aber nicht gleichzeitig. Ansonsten macht die Fahrerei Spaß – auch ich bekomme mal die Füße runter (….mein Leben als Bonsai). Über das chinesische Typenschild hat irgendein Scherzkeks einen Honda-Sticker geklebt. Somit bleibe ich meiner Vorliebe treu.
Nach dem ersten Paß hinter Kathmandu geht’s langsam abwärts, neben und unter uns der kräftig rauschende Tisuli. Die Paddlerseele meldet sich, und wechselweise geht der Blick auf die Straße (Hühner, Enten, Menschen, Ölspuren..) und auf den Bach. Ich fange an zu träumen. Hier begegnet uns eine der ersten, manchmal recht abenteuerlichen Hängebrücken, aber diesmal müssen wir noch nicht rüber. Rast an einem wunderschönen Aussichtspunkt. Fotoapparat ‘raus, Bilder vom Wildfluß, von meinen fachsimpelnden Männern. Die Kamera gibt daraufhin auf – wie sich später herausstellt, wohl für immer. Zwanzig Jahre hat sie alles mitgemacht… Ich jammere tags drauf solange herum, bis mir Rony seine eigene für die nächsten drei Wochen leiht, ewige Dankbarkeit provozierend.
Unser Minitreck kommt nicht nur wegen der enormen Aussichten dauernd ins Stocken, sondern weil die beiden Herren mit ihren spezifischen Problemen kämpfen. Willi sucht wegen diverser Kränkeleien seines Motorrads einen Mechaniker, Rony ein Telefon – er hat vergessen, MaryEllen zu sagen, daß unser Gepäck mit dem Bus nach Pokhara kommt und unbedingt abgeholt werden muß. Ich mache mir irgendwie überhaupt keine Sorgen, und begreife erst Tage später, was eigentlich mit mir passiert.
Es gibt zwei grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten, auf einige Spezifika dieses Landes  zu reagieren. Man kann versuchen, den bei uns normalen, meist hektischen Modus vivendi in Form eines touristischen Plans durchzuziehen, und dabei entweder verzweifeln sowie durch völlige Ignoranz vor jeglicher Wechselwirkung mit den Menschen und deren Lebensstil verschont bleiben. Oder man läßt sich abholen, paßt sich der beruhigenden Improvisationsgabe der Nepali an, und damit auch deren Zeitgefühl. Das schließt völlig durchorganisierte Reisen natürlich aus. Und das Wunder geschieht – irgendwie funktioniert’s immer. So auch hier: ein mitdenkender Zeitgenosse wird abends das Gepäck in einem Hotel in Pokhara abgeben, das wir noch des öfteren heimsuchen werden. Naja, mir geht’s einfach nur gut, Rony findet kein Telefon, und Willi wird von einem Mechaniker bei Mugling getröstet.
Auf den Straßen gibt es neben dem bereits erwähnten Lebewesen aller Art auch und vor allem LKW’s und Busse genau der Sorte, wie sie aus Fernsehberichten über den südostasiatischen Raum bekannt sind. Alt, scheppernd, bunt und glitzernd behängt, meist voll besetzt. PKW’s sind selten, und gehören oft Ausländern. Eine wesentliche Ursache für die schlechte Luft in der Hauptstadt kann auch hier auf der Landstraße bewundert werden. Rony und Willi überholen wenige Meter vor mir einen Bus – und verschwinden einfach komplett in einer fetten, schwarzen Wolke. Wenn die Hauptsache ist, daß die Kiste überhaupt läuft, spielen Abgase keine Rolle. Abends sehe ich im Gesicht (offener Helm) aus wie frisch aus dem Bergwerk.
Für die ausgehungerten und durstigen Ritter der Schotterstraße gibt’s in Gate eine Stunde vor Pokhara Cola und geröstete Maiskolben. Das gewohnte Bild: alles, aber auch alles ist auf der Straße, diesmal garniert mit drei Polizisten, deren offensichtliche Aufgabe es ist, die Bus/LKW Haltestelle im Auge zu behalten. Die Menschen machen nicht den Eindruck, als würden sie auf etwas warten, einige tun etwas, andere sind einfach da. Auch hier schon, wie so oft, die Frauen trotz der offensichtlichen Armut in farbenfrohen Gewändern, die Männer in Hosen und Hemd, die Kids in irgend etwas. Das hier getrunkene Cola grummelt sofort im meinem Magen, und ich beschließe hierbei, meine Flüssigkeitszufuhr künftig anders zu regeln. Es bleiben noch abgepacktes Wasser und Bier, ersteres eignet sich zum Zähneputzen, letzteres………..
Dreißig Kilometer Luftlinie hinter Pokhara erhebt sich ein Berg, der aus unserer Anreiseperspektive wie der Montblanc aussieht, der Machapuchere oder Fischschwanz. Nur ist das gute Stück über 6900m hoch, und sieht so aus, wie wenn’s jemand in Verkennung normaler Verhältnisse über die Wolken geklebt hätte. Wenn ich bloß nicht dauernd auf die Straße linsen müßte.
Bei fortgeschrittener Abenddämmerung kommen wir endlich an. Keine Straßenschilder, keine Beleuchtung, dafür nur noch Schlaglöcher – ja, ich wiederhole mich.
In Erwartung des hohen Besuchs steht bei unseren Freunden kaltes Bier im Kühlschrank, das bestens ankommt. Wir haben uns seit langer Zeit nicht gesehen, also wird’s trotz des anstrengenden Tages noch spät.

Samstag, 1.11.97

Ruhetag. Nicht ganz – wir sind am organisieren, und lassen auch nochmal die Mopetts pflegen. Rony hat logischerweise einen Lieblingsmechaniker, der sich dann auch um unsere Schmuckstücke kümmert. Ich mag einfach Bremsbeläge, die eine ohne Lupe erkennbare Dicke aufweisen, also gibt’s neue. Geht dann auch viel besser. Willi kriegt auch sein Ölproblem gelöst. Bis wir unsere Annapurna Treckingtour, die nach der Mopetteinlage stattfinden soll, anorganisiert haben, wird’s allmählich dunkel.

Sonntag, 2.11.97

Friede auf Erden? Es ist immer noch Tihar, das sich über eine Woche hinziehende Fest, wo uns nächtliche Musik weiterhin das Durchschlafen erschwert. Dazu kommt leises Gebimmel gegen 5 Uhr morgens vom gegenüberliegenden buddhistischen Kloster, gegen halb sechs kommt der Milchmann, um halb sieben fangen die Kids an in der Wohnung herum zu rennen, und vor sieben Uhr plärrt garantiert das erste der drei Kurzen. Wenn wir drei Wochen später die letzten Tage hier vor Ort verbringen, können wir die ungestört verbrachten Nächte an einer Hand abzählen. Der Erholungswert des Urlaubs, wird sich auf fast alles, was man sich vorstellen kann beziehen, aber nicht auf das Ausschlafen… Also versuchen wir’s noch tagsüber mit Relaxen, und lassen’s uns sonst gut gehen.
Inspektion der unmittelbaren Umgebung des Häuschens unserer Freunde steht auf dem Programm. Pokhara ist von zahlreichen Schluchten durchzogen, so auch unmittelbar hinter der kleinen Straße, in der wir nun wohnen. Der Blick aus diesem Tal auf die Annapurna South Umgebung hat etwas Surreales. Als ich eine Weile später mal wieder in die Alpen komme, erschienen mir die dortigen Berge eher putzig.
Rony und MaryEllen halten sich drei Hühner, die neben dem obligaten Eierlegen auch als Spieltiere für die Kurzen herhalten müssen. Daß sich Hühner wie Katzen kraulen lassen, wußte ich bis dahin auch noch nicht. Der Jüngste  – Jesse – hat irgendwann mal aufgeschnappt, daß in den Eiern kleine Hühner, also Küken seien. Prompt schleicht er morgens als erster raus, sucht die frischgelegten Eier, und zerdeppert diese. Rony schwankt zwischen Resignation und Tobsuchtsanfall, da durch diese Aktion meistens das Frühstücksei ausfällt. Der Rest schmunzelt.
Abends speisen mit der ganzen Familie in der Touristenmeile am See, wo’s zum Abendessen auch einheimische Gesänge und Tänze gibt.

Montag, 3.11.97

Es geht los. Aber – keine Eile an diesem Morgen. Wieder Frühstück auf der Dachterasse, mit dem Blick auf den Hausberg. Eigentlich sind ja auch noch ein Annapurna South und ein paar Vorberge im 7000er Bereich dabei, aber der Nepali Montblanc sieht einfach am besten aus. Rony wird uns noch ein Stück aus Pokhara heraus begleiten. Dabei ist auch erstmal der ältere Junior, der ziemlich stolz bis zum Kindergarten mitfährt.
Die Straße zieht sich nach Südwesten mit Blick über den See recht schnell in die ersten Berge hinein. Geplant ist, der einzigen Straße in den Süden zu folgen, die uns nach Durchquerung des Mahabharat Range bis ins Terrai nach Buthwal, und von dort aus Richtung Osten nach Hetauda bringen soll. Nach den eher wagen Infos von Rony’s Kollegen, die wir Tage zuvor in Kathmandu erhalten hatten, sollten wir an einem Tag eigentlich bis Hetauda fahren können. Das setzt aber voraus, daß man früh auf die Straße kommt, kein Pannen hat und auch nicht dauernd Päuschen machen will. Nichts von alledem trifft heute zu.
Pokahra liegt auf 900 – 1100m, der erste heutige Paß liegt ein paar hundert Meter höher und eine Stunde vom Ort entfernt. Rony verläßt uns an dieser Stelle, und wir rollen wieder sachte in tiefere Regionen. Landschaft ohne Ende. Kaum sind 5 Minuten ‘rum, gibt’s wieder einen genialen Blick auf den Machapuchere, diesmal mit Getreideterrassen im Vordergrund (nicht alles was in Asien angebaut wird, ist Reis). So geht das stundenlang. Wir sind auf etwa 1500m Höhe, unter uns etwas niedrigere Berge, bis oben hin mit Terrassen voll, alles grün oder gelb. Die Eindrücke strafen alle Reiseführer und Bildbände Lügen…
Nach etwa 80 Kilometern fängt mein Mopett an zu eiern – Plattfuß am Hinterreifen. Solide Chinesische Wertarbeit – der Reifen bleibt bei gemächlicher Fahrweise auf der Felge, womit wir uns ins nächste Dorf retten wollen. Laut Rony sind Pannen auf Nepals Straßen kein Problem, da sie ja jedem dauernd passieren, und demzufolge eigentlich in jedem Dorf zumindest eine Art Schlosser sitzt, der aus fast nichts das beschädigte Vehikel wieder lauffähig bekommen kann. Außerdem gibt’s unterwegs immer wieder LKW’s, die einen bei Bedarf einsammeln – sagt Rony
Er hat ja auch Recht. Nur daß in unserem Fall lange kein LKW kommt, ebenso läßt das nächste Dorf über 20 km warten läßt, und genau da gibt’s keinen Klempner. Außerdem geht´s nochmal schön hoch, um uns gehen die Berge bis auf 2200 Meter hoch. Bei km 40 nach dem Reifen-Gau kommt Arya, und damit auch die Rettung, wenn auch anders wie erwartet. Es ist mittlerweile 14:30Uhr, und wir befinden uns in der Anfangsszene dieses Berichts.
Ayra: ein Bergdorf auf einer Art Paßhöhe, ein paar hundert Meter lang entlang der einzigen und großen Straße gelegen, die Pokhara mit Buthwal, und dann mit Indien verbindet. Links geht noch eine Straße weg, und um den damit gebildeten Ortskern scharen sich eine Art Bushaltestelle, der örtliche Wasserhahn, einige pittoreske Miniläden inklusive jenem, das ein Telefon besitzt. Was es in diesem speziellen Laden sonst noch gibt, konnte ich später nicht herausbekommen. Am Ortsausgang, von dem eben beschriebenen Zentrum etwa 150 Meter entfernt, steht linkerhand ein Haus, vor dem ein alterschwacher LKW aufgebockt steht. Der Mechaniker (was immer er auch ist, und wie er heißt, ist nicht herauszubekommen) werkelt mit seinem Kollegen am Fahrzeug. Wir kommen hinzu, radebrechen unser Problem, was auch gut gelingt – ein paar Brocken Englisch und die weltumspannenden Grundelemente der Zeichensprache (bei allen kulturell bedingten feinen Unterschieden) helfen da sehr. Ein Mann mit Kind hilft auch noch beim Übersetzten, und im Nu sind über zehn Männer da, und schauen sich die Attraktion an. Die Frauen im Dorf lassen sich nicht beirren, und arbeiten weiter.
Reparatur die erste: Mechaniker zieht defekten Schlauch heraus, der ist an der Naht längs aufgeplatzt – großes Gelächter. Mechaniker meint, er hat nur einen etwas kleineren Schlauch, der ginge zur Not, aber in Butwal unbedingt wechseln! Claudia nickt mit dem Kopf, Mechaniker holt Schlauch, pumpt ihn zum Test auf – peng – der platzt noch vor Gebrauch – großes Gelächter Nr.2. Der zweite Schlauch hält denn, und schafft’s dann später auch bis Butwal…
Bis wir wegkommen, ist schon Viertel vor vier. Wir wollen noch aus dem Gebirge heraus bis Butwal. Wir fahren eine herrliche Strecke allmählich bergab, aber lang hält’s nicht vor. Nach 5 Kilometern fängt diesmal Willi an zu schlingern, und er kann nicht auf der Felge weitereiern. Wir sind uns schnell einig: ich fahre nach Ayra zurück, den Mechaniker alarmieren. Als ich oben ankomme, und wieder mit dürren Worten beschreibe, was los ist, vermeine ich ein schmunzelndes Grinsen bei meinem Gegenüber zu entdecken.
Reparatur die zweite: der Kollege des Mechanikers fährt zu Willi, kommt eine Weile später unverrichteter Dinge wieder zurück, da er das falsche Werkzeug zur Demontage des Hinterreifens dabei hatte. Ich brauche gar nicht auf die Uhr zu schauen, um festzustellen, daß wir heute einen weiteren von Rony’s guten Ratschlägen testen werden, diesmal den über Unterkunft in Nepal auf dem flachen Land. Laut Rony auch kein Problem – im erkennbaren Notfall käme man auch bei den Menschen in der guten Stube unter – an ein Unterkunftswesen wie bei uns ist dabei nicht zu denken, so daß den Leuten noch auf diese alte Art und Weise geholfen wird. Auch die gute Stube sieht anders aus als zu Hause.
Es wird dunkel, ich betrachte die Sterne. Vorher hatte ich in Pokhara angerufen (von dem oben genannten Lädchen aus) und mit Freuden festgestellt, daß unsere weiteren Pläne (Familientrecking am Annapurna) sich auch soweit verschoben haben, daß wir auch mit all den Pannen es wieder nach Pokhara zurückschaffen werden. Das Telefonat wird fein säuberlich mit einer Stoppuhr kontrolliert, und ich zahle eine Summe, bei der alle derzeit in Deutschland operierenden Telefongesellschaften pleite gehen würden.
Jetzt ist das Quartier dran. Ob mir da jemand helfen könnte? Ein mittelgewichtiger Nepali mit einer grauen Nadelstreifen Jacke sagt, er wüßte was – es wäre nicht sehr luxuriös, aber immerhin. Er meint das 10 Meter neben uns stehende Haus (was sich aber erst später herausstellt). Eine Art Dorfkneipe, blaue Türen und Fensterläden, eine Theke und ein Kühlschrank, bei dem genaues Hinschauen nicht sinnvoll erscheint. Im Hinterzimmer eine landesübliche Lehmofenküche. Eine junge Frau, mit der ich via Zeichensprache kommuniziere. Oben im ersten Stock gibt’s einen Raum mit vier Betten, einfach und staubig, aber ok. Wir finden später zerfledderte Englischlektionen auf dem Boden.
Willi kommt im Dunkeln zurück, nach Radwechsel im Kerzenschein am Abgrund. In der Herberge treffen wir einen der Zuschauer der ersten Reparaturaktion wieder, den mit dem kleinen Kind, samt seiner Frau, die auf Verwandschaftsbesuch ist, denn die Herberge gehört ihrer Schwester resp. ihrem Vater, den wir auch noch kennenlernen. Die Verwandten reden kein Englisch, dafür aber die junge Frau, die uns von ihrer Arbeit bei der Lehrerausbildung erzählt.
Irgendwann sind wir allein mit der Chefin in der Kneipe, die Mopetts stehen auch schon neben dem Tisch (das hatten uns die Leute dort empfohlen, und ihr eigenes auch dazu gestellt), die Rolläden sind dicht, und wir trinken noch ein Bier, damit wir etwaige Kleinsttierattacken nachts besser ignorieren können. Es passiert aber nichts.

Donnerstag, 5.11.97

Heute geht’s dann doch bis Hetauda. Ich schlafe wie ein Sack, bis um 5:30 Uhr morgens der erste Bus auf der Strecke laut hupend vor unserer Herberge hält. Aus mit der Nachtruhe. Es wird schon hell, und so schlagartig wie tags zuvor alle Leute, Kinder und Hühner von der Straße verschwunden sind, so kommen sie jetzt wieder raus. Als wir völlig verknittert gegen viertel nach 6 Uhr bezahlen, ist auch unten wieder alles auf, und die erstem Läden öffnen sich.
Wir haben nie herausbekommen, ob wir aus Gastfreundschaft anstatt der ursprünglich vorgesehen Leutchen die Luxus-Suite bekommen haben. Unten im Kneipenraum schliefen Leute, und die Nepali sind viel zu zuvorkommend, um derartige Details zu verkünden. In der Nacht stolperte auch noch ein verspäteter Gast in den Schlafraum, entdeckte erschrocken, daß da schon Leute sind, und verschwand wieder, wahrscheinlich eben Richtung Küche. Trinkgeld zu geben bei der Bezahlung der Unterkunft ist morgens auch nicht möglich.
6:30 Uhr auf der Straße – nicht schlecht für zwei Leutchen, die auch gerne mal ausschlafen. Der Lohn: tolle Fotos von Nebel in großen Tälern, meine ersten freilebenden Geier (gelangweilt am Straßenrand sitzend), Einblick in den Nepali Straßenbau (viele Menschen tragen Steine zum Ausbessern herbei..) und eine Weile später Brunch in Buthwal. Wir erreichen diese Stadt nach knapp 140km ab Pokhara, auch wenn uns Baedeker etwas von 87km erzählen will.
In diesem Ort, bereits im klimatisch subtropischen Terrai und ca. 30 km vor der indischen Grenze, begegnen uns Rikschas, viel Staub und von Aussehen ganz andere Menschen. Sie erinnern mich sehr an die indischen Gäste, mit denen ich gelegentlich während meiner Uni-Zeit zu tun hatte. Einer dieser dunkelhäutigen, eher hochgewachsenen Leute hilft uns auch weiter, als wir einen zwar willigen, aber des Englischen nicht mächtigen Mopett Mechaniker finden, und ihm klarmachen wollen, daß ein Schlauch gewechselt werden muß (Restproblem von tags zuvor). Der Dolmetscher entpuppt sich als Arzt, was uns auch einen Einblick in die örtliche Krankenhausrealität verschafft. Nur plastischer wie im ZDF – die Führung durch Praxis und Station hat´s in sich.
Nach “fried rice” und Tee geht’s weiter. Wir dürfen mal Gas geben, denn die Straße ist gerade und meist gut geteert. Nur mehr als 80 macht meine Mühle nicht mehr. Was aber auch völlig reicht, denn Viehzeugs läuft weiterhin zum Teil völlig unberechenbar über die Straße. Willi sieht sich schon einen satten Abgang machen, als direkt vor ihm eine am Straßenrand laufende Ziege plötzlich eine Haken schlägt und vor dem Vorderrad vorbei zischt. Es geht gut, nur der Blutdruck steigt schlagartig. Dafür erschrickt später am Tag eine Gans so über uns, daß sie sich direkt unter einen anfahrenden Bus flüchtet, und das wohl nicht überlebt.
Tankstellen gibt’s genug, aber meist haben die Diesel. Also entweder Enfield fahren oder immer brav dann tanken gehen, wenn eine Benzinsäule winkt. Diese Erkenntnis kostet uns auch mal 30km extra.
Es ist sehr warm, und auf halbem Weg machen wir am Verkehrsknotenpunkt Narayangadh Rast, Flüssigkeit nachtanken, diesmal für die Fahrer. Die zwei Ober sind sehr neugierig, und wir studieren zusammen die Karte, wobei die beiden Männer offensichtlich wenig mit Landkarten als solchen anfangen können. Aber Spaß macht’s wohl zu gucken….
Terrai: Ackerbau und Viehzucht. Die Malaria wurde vor Jahren ausgerottet, was die ursprüngliche Bevölkerung, die gegen diese Krankheit resistent war, unter Druck setzt. Denn jetzt ziehen viele Leute nach in das fruchtbare Gebiet.
Rotbraune Lehmhäuser mit zur Straße offenen Räumen kleben am Hang. Die untergehende Sonne bringt die ganze Straße zum Leuchten. Es wird wieder dämmrig, bis wir in Hetauda ankommen, aber unser Hotel finden wir gleich. Es handelt sich um eine hübsche Anlage, und auch hier haben die Leute mal wieder eine eigenwillige, originelle Lösung gefunden. Die Zimmer sind sehr hoch, tonnenförmig, und mit einem Wellblechdach abgeschlossen. Auf diese Weise hören alle Gäste garantiert die Affen, die des Nachts auf dem Dach herumturnen (man ist also nicht allein). Ich stehe morgens mal mit einem ziemlich dicken Hals vor dem Zimmer, ohne damit irgend etwas zu bewirken.
Abendessen. Bis wir die paar Meter ins Zentrum laufen, wirkt alles schon sehr tot. Kein Vergleich mit dem Trubel in Ayra. Wir gehen auf die Dachterasse des einzig geöffneten Lokals, und bestellen: chicken fried rice. Zwei Minuten später rennt unten (3 Stockwerke tiefer) der ganz junge Kellner aus dem Haus, um einige Minuten später wieder zurückzukehren. Nochmal zwei Minuten später die Nachricht: es gibt kein Huhn, ob wir’s denn mit buff fried rice versuchen würden. Klar, wenngleich das ganz frische Huhn, wie’s ja wohl geplant war, besonders toll gewesen wäre.

Mittwoch, 5.11.97

Wir machen diesen Morgen einen kleinen Fehler – wir lassen uns Zeit. Nur dieses eine Mal war’s ungünstig, aber wir wußten’s da noch nicht. Gepflegtes Frühstück, heute geht’s nach Norden über die Berge und einen Paß auf knapp 2500 Metern Höhe nach Kathmandu. Unterwegs wieder absolut geniale Straßen, Kürvchen, von denen man nur träumen kann. Nur daß der Straßenbelag an ein paar Stellen eher an die heimische Kiesgrube erinnert – ich verkalkuliere mich einmal und schiebe danach das Vehikel durch den Matsch.
Nicht nur die Straßen sind göttlich – auch die Aussichten. Berge – Wolken – Berge. Direkt hinter dem Paß befindet sich Daman, ein Aussichtspunkt. Wir laufen die paar Meter dort hin, und bekommen eine unbeschreibliche Kulisse zu sehen: Annapurna, Himalaya und alles, was dabei steht auf eine Schlag. Es ist kaum zu fassen. Tja, und wenn man zwei Stunden früher da ist, sind auch noch keine Wolken vor den kleineren Gipfeln. Also, man speist, macht Fotos für’s Familienalbum, und genießt die Aussicht.
Wir marschieren zu den Mopetts zurück. Jemand hier kann eine Batterie gut gebrauchen, somit hat Willi’s 250er jetzt keine mehr. Das Zweirad reagiert aber auch auf den Kickstarter, und somit geht’s weiter. Eine Nachverfolgung, wer sich denn da jetzt bedient hat, ist ziemlich zwecklos, außerdem wollen wir doch nach Kathmandu.
Nun ist’s wie am Montag: die Kilometerangaben auf der Karte stimmen in den Bergen nur näherungsweise mit der Realität überein. Und so nähern wir uns, nach weiteren, zahlreichen Schleifen etwa 25 km später Kathmandu als geplant. Und wieder wird’s dunkel. Ein freundlichen Polizist schickt uns in die richtige Richtung ins Verkehrsgewühl in Kathmandu, und im 4+x-spurigen Linksverkehr finden wir den Weg zum Reisebüro auf Anhieb. Willi schwitzt zwar, weil sein Kiste gerne mal ausgeht, aber ich fahre mit einer Ruhe einfach hinterher, die nur durch die allgegenwärtigen Buddhas zu erklären ist. Von den Schweißperlen beim Vordermann habe ich durch die Sonnenbrille (wegen der Fliegen..) ja nix gesehen.
Leicht genudelt geben wir die Mopetts ab – und wieder gibt’s Nepalitee. Wir finden in unmittelbarer Nähe ein recht brauchbares Hotel. Der Mann am Empfang macht große Augen, als Willi auf den 6ten Stock besteht. Aber damit haben wir zum erstem Mal seit über einer Woche Nachts Ruhe. Ich liege auf dem Bauch, fange an, etwas längere Notizen zu machen. Erschlagen bin ich auch vom Overkill an Eindrücken.

Donnerstag, 6.11.97

Bakery’s sind weltweit mit Namen aus Mitteleuropa verknüpft, auf die Details darf man da nicht so achten. Wir landen in einem bei Nepal Reisenden wohl bekannten großen Laden, in dem’s alles gibt, was das westliche Herz zum Frühstück begehrt. Jeder nutzt den Aufenthalt in Thamel noch für einen Rundgang, etwas später schließt sich der Kreis: in einer Propellermaschine fliegen wir binnen 45 Minuten die Strecke zurück, die wir per Mopett und Umwegen in drei Tagen bewältigt haben. Wir werden in Pokhara abgeholt, den es gibt mal wieder einen Streik, diesmal geht’s um Sprit – diverse Touristen sitzen in Pokahra auch am Flughafen fest, und MaryEllen ersetzt das Taxi, den die streiken natürlich auch. Wir dürfen erstmal erzählen, wie’s uns ergangen ist. Bald geht’s um die gemeinsame Trecking Tour mit der Familie, die ja dann auch losgehen soll. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.